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Die dunklen Seiten der Empathie

Ein Newsletter von Theresa Bäuerlein


Das ist eines der wichtigsten Dinge, die ich bei meiner aktuellen Recherche über Empathie gelernt habe: Empathisch sein ist keine durchweg positive Eigenschaft. Es kann sogar echte Schattenseiten haben. 
Ich schreibe das als Person, die sich bis vor kurzem durchaus etwas darauf eingebildet hat, sich für einen empathischen Menschen zu halten. Ich fühle wirklich mit, wenn andere leiden. Einmal verpasste mir mein Hausarzt ein EKG, weil ich einen Freund besucht hatte, der wegen eines Herzinfarkts im Krankenhaus war. Danach hatte ich selbst Brustschmerzen. Ich neige überhaupt nicht zur Hypochondrie. Es war wirklich seltsam. Ich habe wohl einfach die Grenze zwischen mir und meinem Freund nicht ganz scharf gekriegt, mich zu sehr mit ihm identifiziert. Meinem Freund hat das nichts gebracht, mir auch nicht. Eher im Gegenteil. 

Kinderkriegen macht manchmal weniger empathisch

Die Fähigkeit, sich in einen Anderen hineinzufühlen, wird überschätzt. Empathische Menschen sind nicht automatisch netter, hilfsbereiter oder moralisch überlegener. Empathie kann sogar eine ziemlich selbstzentrierte Veranstaltung sein. Beispielsweise, wenn man sich einbildet, ein besserer Mensch zu sein, weil man etwa den Anblick von Schmerz nicht erträgt, da man zu sehr mitfühlt. Oder wenn man glaubt, dass Mitfühlen allein schon eine Handlung im Interesse anderer darstellt. 

Hier ein paar überraschende Schattenseiten der Empathie: Kinderkriegen kann Eltern empathischer gegenüber ihrer eigenen Familie machen, aber gleichgültiger gegenüber Fremden. Besonders empathische Menschen sind manchmal sogar besonders rachsüchtig. Das vermutet Paul Bloom, ein Experte für kognitive Entwicklungspsychologie, der in Yale lehrt.


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In Experimenten erzählten er und sein Doktorand Nick Stagnaro Menschen von einer hypothetischen Gräueltat. Im Nahen Osten sei ein Mensch entführt oder gefoltert worden. Dann fragten die Forscher, wie die amerikanische Regierung auf den Fall reagieren sollte. Zur Wahl standen Reaktionen auf einer Skala von Nichtstun bis hin zu Luftangriffen. Zusätzlich machten die Proband:innen einen Standard-Empathie-Test. Die Forscher stellten fest: Je empathischer die Teilnehmer:innen waren, desto mehr und härtere Vergeltung wollten sie.

Mit Empathie Gewalt rechtfertigen

Besonders empathische Menschen sind auch anfälliger dafür, dass Geschichten von Leiden ihr Urteil beeinflussen. Ein Beispiel, das Bloom nennt: „Wenn ein kleines Mädchen durch einen Impfstoff stirbt oder sehr krank wird, wollen viele das Impfprogramm einstellen – selbst wenn dadurch jedes Jahr ein Dutzend Menschen gerettet werden –, weil wir das Leid des Mädchens und seiner Familie nachempfinden können. Aber die statistische Abstraktion, dass es Menschen gibt, die gestorben wären, aber nicht gestorben sind, lässt uns kalt.” Das war vor der Corona-Pandemie.

Ein anderes Beispiel ist Putin: Seine Erzählungen über das Leiden der russischen Bevölkerung in der Ukraine sind ein Grund dafür, dass sein Krieg in Russland Unterstützung erhält: „Ziel ist der Schutz der Menschen, die seit acht Jahren Misshandlung und Genozid ausgesetzt sind“, sagte Putin. Er versuchte gezielt, Empathie für misshandelte Russ:innen zu wecken, um Gewalt zu rechtfertigen. Das macht natürlich nicht nur Putin, es ist ein alter Politiker:innentrick. Dass dieser funktioniert, zeigt eine weitere Schattenseite der Empathie: Wir empfinden sie eher für Menschen, die uns nahe oder ähnlich sind.

Was könnte wertvoller sein als Empathie?

Es gibt also wirklich gute Gründe, sich die dunklen Seiten der Empathie anzusehen. Und zwar vor allem die des Mitfühlens. Kognitive Empathie, die Fähigkeit also, die Gefühle anderer zu verstehen, ist weniger problematisch. Soweit wie Bloom der ein echter Gegner der Empathie ist, würde ich nicht gehen. Aber er hat gute Argumente: Darüber, und auch dazu, was wertvoller als Empathie sein könnte, schreibe ich den nächsten Text meines Zusammenhangs: Warum du ohne andere nichts bist.


Redaktion: Thembi Wolf, Schlussredaktion: Lisa McMinn, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Die dunklen Seiten der Empathie

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